MdL Paul Knoblach (GRÜNE) will Thema aus Tabuzone herausholen – Eindrucksvolle Diskussion in Sankt Kilian
Psychische Erkrankungen gehören in Deutschland zu den häufigsten Krankheitsbildern und werden mittlerweile als Volkskrankheit eingestuft. „Jeder Fünfte macht im Laufe seines Lebens Depressionen durch“, bestätigte der lange in der Klinik Werneck tätige Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. Gerald Zöller, bei einem Vortrags- und Diskussionsabend in Sankt Kilian Schweinfurt. Eingeladen hatte der Schweinfurter Landtagabgeordnete Paul Knoblach neben Zöller noch Wolfgang Scharl von der Ländlichen Familienberatung in der Landwirtschaft der Diözese Würzburg und den selbst betroffenen Landwirt Christoph Rothhaupt aus dem Bad Neustädter Stadtteil Lebenhan. Der Grüne MdL aus Garstadt ist selbst Biolandwirt und war vor allem 35 Jahre lang Krankenpfleger im Psychiatrischen Krankenhaus im Schloss Werneck.
Das Interesse an der Veranstaltung war mit annähernd 50 Besucherinnen und Besucher überraschend groß. Erstaunlich auch: Nach den kurzen, aber nachhaltigen Impulsreferaten meldeten sich in der Diskussion zahlreiche Zuhörer und berichteten über ihre persönlichen Erfahrungen. Dass „darüber reden“ ohnehin der beste Weg ist, die Depression am Ende auch wieder los zu werden, hatten die Fachleute in ihren Wortbeiträgen mehrfach geraten.
Knoblach will das Thema aus der Tabuzone herausholen. Deshalb die Veranstaltung. „Die psychische Gesundheit von Landwirt*innen ist bisher ein leider wenig beachtetes Thema“, so der Abgeordnete. Die großen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten gerade in der Landwirtschaft machte Knoblach dafür verantwortlich, Veränderungen, die mit besonderen Belastungen einhergingen und -gehen. Der grüne MdL zitierte aus einer Studie aus dem Jahr 2021 zum Thema Burnout, Depression, Angst inklusive der zugehörigen Belastungsfaktoren bei Landwirt*innen in Deutschland und Österreich. Es zeigte sich: die Ausprägungen für Depression und Angst sind bei bei Landwirt*innen deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. „Es ist daher notwendig, in der Bevölkerung, Politik und in der Berufsgruppe selbst ein Bewusstsein für die Situation zu schaffen und Unterstützungsangebote zu bekannt zu machen“, sagte Knoblach.
Das „darüber reden“ hat auch bei Christoph Rothhaupt gewirkt. Nach dem Tod seines Vaters 2014 ist der Rhöner Landwirt in das tiefe Loch einer Depression gefallen. „Es war kein Licht mehr zu sehen“, sagte er. Allerdings: Er hat die Krankheit erkannt, sich bei der Ländlichen Familienberatung für Landwirtschaft (LFB) gemeldet und sich dort alles „von der Seele geredet“. Dieses Gespräch hat ihn gerettet, die Krise zu einem anderen Menschen gemacht, „Steine aus meinem Rucksack genommen“, wie er es formulierte. Er habe heute wieder „einen Fahrplan“. Wenngleich: Er entschied „schweren Herzens“, sich von den arbeitsintensiven Kühen zu trennen, zu Gunsten des Biolandbaus. Wolfgang Scharls riet: „Hilfe holen, je eher desto besser,“ etwa beim niederschwelligen Angebot seiner Beratungsstelle oder bei Medizinern.
Sich unbedingt Hilfe zu holen, dazu riet auch Dr. Gerald Zöller. Denn: Depressionen gehen mit einem massiven Schwund an Lebensfreude einher, bleiben bei vielen im Gegensatz zu einer Krebserkrankung aber unerkannt. Zöller: „Jeder kann aber daran erkranken“, wegen genetischer Veranlagung auch schon Kinder. „Depressionen sind Erkrankungen einer Dienstleistungsgesellschaft, sie an die Öffentlichkeit zu bringen ist deshalb ganz wichtig,“ konstatierte der Facharzt für Psychiatrie. Über die Zahl der Suizide werde ungern gesprochen, aber: Es sind über 8000 pro Jahr. Geholfen werde Betroffenen zum Teil auch mit Antidepressiva, „immer aber unterstützt von Psychotherapie“. Was gar nicht geht, das sind Appelle wie: „Das schaffst du schon“ oder „Reiß Dich zusammen“.
Dann die tiefgehende Diskussion. Einer geißelte, dass „nur die Leistung zählt“. Andere berichteten in diesem Zusammenhang von fehlender gesellschaftlicher Wertschätzung für „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ und das bei einem immer weiter um sich greifenden Bürokratismus. Eine Landwirtin schilderte sogar einen Generationenkonflikt auf dem Hof. Ein Landwirt schilderte seinen Totalausfall und einen wochenlangem Klinikaufenthalt. Er outete sich auch in seinem Dorf und seiner Umgebung und stellte fest: „Wer an die Öffentlichkeit geht, sieht schnell, wer wirklich die Freunde sind“.
Die hohe Erkrankungsrate bei Landwirt*innen nannte Gastgeber Paul Knoblach in seinem Schlusswort wissenschaftlich belegt. Mit der Veranstaltung habe er den Berufsstand, dem er ja selbst angehört, auch nicht schlecht machen wollen. Ganz im Gegenteil solle der Abend dazu beitragen, „möglichst viele Menschen für das Problem zu sensibilisieren“. Wenn es dann so ausgeht wie bei Christoph Rothhaupt ist das gut. Der sagte: „Mein heutiges Leben ist wieder lebenswert und Landwirt ist ein sehr schöner Beruf“.
Für sofortige Hilfe können Betroffene sich an die Ländliche Familienberatung der Diözese Würzburg wenden, Telefon (0931) 386 63 725. Wer selbst Suizidgedanken hat oder jemanden kennt, der Suizidgedanken äußert, findet im Akutfall per Telefon unter (0800) 1110111 oder (0800) 1110222 oder 116123 Hilfe. Online im Chat oder per Mail unter online.telefonseelsorge.de. Das Rund-um-die-Uhr-Angebot ist deutschlandweit kostenfrei, anonym.