Meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
Ich spreche heute zu Ihnen als Alterspräsident des Bayerischen Landtags. Im Grunde meines Herzens bin ich seit Kindheit Bauer mit Leidenschaft. Ich habe in meinem Leben einiges gesehen, viel erlebt: Ich bin gelernter Mechaniker, habe in Schweinfurt erst in der Wälzlagerfertigung gearbeitet, dann 37 Jahre als Krankenpfleger für Psychiatrie. Den Hof meiner Eltern habe ich mit Unterstützung meiner Familie 1992 auf ökologischen Landbau umgestellt. Was mich dabei immer fasziniert hat: Was in fünf Jahren alles zu schaffen ist.
Gerade aus meinem Beruf als Landwirt weiß ich: Wir ernten, was wir säen.
Wer Zwietracht zwischen den Menschen sät, wird ein gespaltenes Land ernten. Wer Falschbehauptungen aufstellt, wird Vertrauen verlieren. Was wir in den letzten Monaten gesehen und gehört haben, steht unserem schönen Bayern nicht gut zu Gesicht. Populismus trennt immer, verbindet nie. Populismus will Probleme aufbauschen, nicht lösen.
Was sollten wir stattdessen säen? Mut. Vertrauen. Offenheit. Einen Sinn fürs Miteinander, für gemeinsame Lösungen. Dann ernten wir alle, erntet unsere Demokratie. Diese Haltung erwarten die Menschen von uns hier in ihrem Parlament – und das zurecht.
Und wenn eine Saat mal nicht aufgeht, was wünscht sich der Landwirt, was wünscht sich die Landwirtin dann? Was hilft, im nächsten Jahr mit neuem Mut zu säen? Spott und Gehässigkeit – oder Zuspruch und eine helfende Hand? Wir alle kennen die Antwort. Lasst uns wieder mehr danach handeln. Sonst gewinnen diejenigen, die Saatgut vergiften und diejenigen, die die Ernte zertrampeln! Sie haben nichts, aber auch gar nichts für die Menschen in diesem Land übrig!
Wie kann man sich anmaßen, Menschen in „normal“ und „unnormal“ einzuteilen? Ihnen mehr oder weniger Wert zuzusprechen? Wie kommt man dazu, Massenvergewaltigungen und Kindsmorde frei zu erfinden? Ist es anständig, Regierungspolitiker*innen als „Pack“ zu bezeichnen? Wer so spricht, befeuert ein gesellschaftliches Klima, in dem Morddrohungen an Politikerinnen und Politiker gerichtet werden. Leider muss ich sagen: Ich weiß, wovon ich spreche. Kurz vor der Wahl wurde gegen mich eine solche Drohung gerichtet. Seitdem schaue ich mich um, wenn ich das Büro abschließe. Doch ich habe ein anderes Bild von Bayern: Bayern ist ehrlich, Bayern hat Respekt, Bayern ist anständig!
Wir stehen vor fünf Jahren politischer Arbeit. Ich könnte aufzählen, welche Herausforderungen auf uns zukommen. Wie sie in den letzten fünf Jahren nochmal angewachsen sind. Aber lasst uns stattdessen lieber den Blick auf das richten, was wir in fünf Jahren schaffen können!
Wir können ein Land schaffen, das die Klimakrise und das vermehrte Auftreten von Extremwetterereignissen wie langanhaltende Trockenheit oder Starkregen effektiv bekämpft. Wir können ein Land schaffen, in dem Stadt und Land sich nicht als Gegensatz begreifen, eine starke kommunale Arbeit individuelle Lösungen ermöglicht. Wir können ein Land schaffen, in dem rechtsextreme Kleinstparteien wie der 3te Weg keine weiteren Büros in Bayern eröffnen werden, wie 2022 in Schweinfurt geschehen. Wir können ein Land schaffen, in dem Menschen und Unternehmen an die Kraft des Gemeinsamen glauben, und Gemeinwohl und Solidarität keine leeren Floskeln sind. Wir können ein Land schaffen, in dem ein Alterspräsident oder eine Alterspräsidentin wieder guten Gewissens sagen kann: Ich freue mich über die politischen Nachwuchstalente an meiner Seite.
Es gibt viel zu gewinnen. Aber: In fünf Jahren können wir auch viel verspielen. Schauen wir auf die Geschichte unseres Landes: Ins Jahr 1928. Die SPD wurde bei den Reichstagswahlen stärkste Kraft vor der Zentrumspartei, einer demokratischen Vorgängerorganisation der Union. Der transatlantische Funkverkehr startete – wohlgemerkt drahtlos, also eine Art Vorläufer des WLAN. Die ersten elektrischen Schnellzüge fuhren durch Deutschland. Die ehemaligen Feinde USA, Deutschland und Frankreich unterzeichneten einen Pakt gegen den Krieg. BMW baute die ersten Autos, die industrielle Produktion erreichte wieder das Vorkriegsniveau und die Arbeitslosigkeit war moderat. Also war alles gut im Deutschland vor 95 Jahren?
Nur 5 Jahre später, im Jahr 1933 zeigte sich: Gar nichts war gut. Was in diesem Jahr seinen schrecklichen Anfang nahm, brauche ich nicht auszuführen – zumindest nicht für die meisten im Saal.
Kennen Sie die Theorie der zerbrochenen Fenster? Wird in einer Straße in einem Haus eine zerbrochene Fensterscheibe nicht schnell repariert, sind bald alle Fensterscheiben zerbrochen. Ein kleiner Vorfall, der nicht korrigiert wird, kann als Freibrief für Zerstörung und Verfall verstanden werden. Auch unsere Demokratie kann zerbrechen. Wenn Demokrat*innen wie Rechtspopulist*innen sprechen, ist mindestens ein Fenster zerbrochen. Dann sind wir alle gefragt: Reparieren wir das Fenster schnellstmöglich, indem wir den Rechten das Stoppschild zeigen!
Was ich jetzt sage, richte ich an alle Demokratinnen und Demokraten: Hass frisst den Geist und die Seele der Menschen auf. Hass tötet. Hass führt zu unmenschlichem Leid. Ich will, dass wir den Hass nicht gewinnen lassen! Wir haben nicht mehr viel Zeit. Die Negativspirale kann sich schnell so weit drehen, dass es zu spät ist.
Eine elegante Präambel in einem Koalitionsvertrag allein wird unsere Demokratie kaum schützen. Dafür braucht es Grundsätze, die wir alle beherzigen sollten:
- Andere demokratische Parteien zum Feind zu erklären – das ist unanständig. Feindschaft gibt es unter Demokratinnen und Demokraten nicht. Nur einen Wettbewerb um die besten Ideen.
- Reden wir mehr darüber, was wir gewinnen können. Geschichten des Erfolgs inspirieren Menschen.
- Wer unsere Demokratie abschaffen will, dem müssen wir uns unablässig und gemeinsam in den Weg stellen!
Ich war 29 Jahre alt, als mir meine Eltern den Hof übergeben haben. Damals habe ich mehr Demut als Freude gespürt. Demut vor dem Auftrag, das 400-jährige Erbe meiner Familie erfolgreich weiterzuführen. Und als ich als Krankenpfleger arbeiten durfte, war das für mich ebenfalls ein Auftrag: anderen Menschen zu helfen. Genauso verstehe ich unsere politische Macht als Arbeitsauftrag. Sie ist kein Selbstzweck. Es geht nicht um uns selbst. Wir haben den Auftrag, das Beste für die Menschen in Bayern herauszuholen.
Ich wünsche mir, dass wir gemeinsame Zukunftsbilder von unserem schönen Bayern entwickeln. Wir alle müssen bereit sein, unsere eigene Lebenswelt, die eigene Blase zu verlassen. Es hilft, die Perspektiven anderer einzunehmen.
Lasst uns im Wirtshaus mal nicht an einen leeren Tisch gehen, sondern an den, wo schon ein paar Leute sitzen. Lesen wir mal eine andere Zeitung oder hören einen anderen Podcast. Folgen wir in den sozialen Medien anderen Menschen als denen, deren Meinung wir ohnehin teilen. Sprechen wir mit Menschen, die wir nicht kennen – beim Bäcker, am Sportplatz, im Zug. Dann können wir uns vielleicht wieder auf die eine, gemeinsame Wirklichkeit einigen. Denn eins verbindet uns doch alle: Wir wollen als Menschen möglichst gut in unserem schönen Bayern zusammenleben.
Reden wir miteinander statt übereinander. Hören wir uns zu. Das macht Demokratie und ein wertschätzendes Miteinander doch aus: Gemeinsame Lösungen zu suchen und Kompromisse zu finden. Gemeinsam zuversichtlich nach vorne schauen. Wir leben in einer Welt und wir alle sind verantwortlich dafür, sie zu erhalten. Das geht am besten, wenn wir zusammenhalten und Brücken bauen, statt sie einzureißen: Brücken zwischen konservativ und progressiv, zwischen Jung und Alt, zwischen Stadt und Land.
In fünf Jahren bin ich 74 Jahre alt. Und ich spüre: Ich werde älter. Aber ich weiß: Es gibt etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt. Ich sehe es, wenn ich meinen Enkel beim Spielen beobachte. Welche Zukunft können wir ihm und seinen Altersgenossen bieten? Ich finde, wir können mehr dafür tun. Wir haben es in der Hand.
Was ich persönlich gelernt habe über all die Zeit – wir hinterlassen immer eine Haltung: Wir können uns entscheiden, wer wir sein wollen. Wir können jeden Tag entscheiden, ob wir freundlich, mutig, zuversichtlich auf die Welt und unsere Mitmenschen schauen. Oder ob wir ihnen Angst machen, den Mut nehmen. Wir lösen damit etwas aus, das muss uns immer bewusst sein.
Wir ernten, was wir säen.
Wir werden uns vielleicht auf nicht so Vieles einigen können in den nächsten fünf Jahren. Doch lasst uns gegenseitig für unsere Zusammenarbeit folgende Versprechen geben: Lasst uns bei der Wahrheit bleiben und sie nicht verdrehen. Lasst uns einen respektvollen Umgang pflegen, im Bayerischen Landtag, in den Regionen und auch im digitalen Raum. Lasst uns den Menschen Zuversicht statt Angst geben.
Wir haben viel zu tun. Wir haben es in der Hand, wo dieses schöne Land in fünf Jahren stehen wird. Wir haben Verantwortung für das, was wir tun, aber auch für das, was wir unterlassen.
Wir ernten, was wir säen.
Vielen Dank für diese großartigen Worte. Kraft und Erfolg für die nächsten Jahre. Mit herzlichen Grüßen, Yvonne Seuffert, Werneck
Eine wirklich gute Rede. Hoffentlich haben alle genau zugehört.
Wer Ohren hat zu hören, der höre!
Vielen Dank für diese großartige Rede, die Mut macht, dass wir die Entwicklung der letzten Jahre umkehren können, wenn wir es gemeinsam anpacken.
Ich bin sehr stolz auf dich! Danke Paul 💚
Eine wirklich bemerkenswerte Rede; insbesondere angesichts der aktuellen Entwicklungen in Sachen „jüngster Abgeordneter“ der AfD. Paul Knoblach bekennt sich in beeindruckender Art und Weise zu seinen Wurzeln und ist nachgerade auf sein bisheriges Lebenswerk stolz. Schade, dass es von seinem Schlag so wenige gibt in unseren Volksvertretungen. Ich wünsche uns, dass seine Apelle nicht ungehört verhallen.
Herzlichen Dank für diese authentische und überragende Rede !
Danke Paul! Deine Worte haben mich wirklich sehr berührt ❤️🍀 Du bist eine große Bereicherung für die Menschen, unsere Erde und die politische Landschaft, ein großartiger Mensch mit deinem großen Herz genau am richtigen Fleck. Ich schicke Dir Mut und Vertrauen für die nächsten 5 Jahre. Danke auch an Deine Familie! Ohne familiären Rückhalt ist eine sooooo große Aufgabe nicht zu stemmen. Alles Gute 🍀, viele Grüße, Daniela aus Rafeld 😊
Lieber Herr Knoblach! Ihre Rede macht Mut, ihre Rede möge eine Basis sein für die parlamentarische Arbeit, nicht nur in Bayern. Erinnern Sie ihre Kolleginnen und Kollegen im Landtag immer wieder daran: Wir ernten, was wir säen!