Paul Knoblach holt grüne Antisemitismus-Expertin Schönberger nach Schweinfurt
Antisemitismus ist laut der grünen Bundestagsabgeordneten Marlene Schönberger aus Niederbayern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Nur: Wie geht man damit um? Bei ihrem Vortrag in der Disharmonie forderte die in ihrer Fraktion für die Förderung jüdischen Lebens und die Bekämpfung von Antisemitismus zuständige Politikerin dazu auf, keinesfalls wegzuschauen, sondern Zivilcourage zu zeigen. Der gesetzliche Rahmen im Kampf gegen Antisemitismus sei bereits geschaffen, werde aber durch mangelnde Kenntnisse in Strafverfolgung und bei Gerichten nur zu selten genutzt. Nötig sei außerdem, fehlendes Wissen über das gegenwärtige jüdische Leben zu vermitteln. „Durch politische Bildung werden Menschen ermutigt, ihre demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten wahrzunehmen und sich menschenfeindlichen Ideologien und Verschwörungserzählungen entgegenzustellen“, so Schönberger.
Ihr grüner Landtagskollege Paul Knoblach hatte die studierte Politikwissenschaftlerin kürzlich bei einer Veranstaltung auf die „schlimme Ansiedlung“ der Nazi-Partei Dritter Weg in Schweinfurt aufmerksam gemacht. Sie sagte dabei zu, über ihre Erkenntnisse und die gefährliche Zunahme antisemitischer Vorfälle zu sprechen, verriet Knoblach in der gut besuchten Kulturwerkstatt die Vorgeschichte. Schönbergers Impulsvortrag „Antisemitismus in der Gegenwart – Kontinuität der Gewalt“ folgte eine lebendige Diskussion, in der wenig überraschend die seit Herbst 2022 mit einem „Bürgerbüro“ präsente neonazistische Kleinstpartei Dritter Weg im Fokus stand. Ja, sie stellen ein Problem dar, weil „das stramme Neonazis sind“, sagte Schönberger. „Einzelne Mitglieder der jüdischen Community sind schon bedroht worden“, berichtete sie zur Gewaltbereitschaft dieser Nazis.
Das müsse allerdings im Kontext gesehen werden: 20 bis 30 Prozent der Deutschen haben latente oder offene antisemitische Einstellungen, konstatierte die Grüne MdB. „Und das ist unabhängig vom finanziellen Status und dem formellen Bildungsgrad“. Ein Grund dafür liegt weit zurück: Die fehlende Auseinandersetzung mit Verantwortung und Täter*innenschaft nach dem Nationalsozialismus und der Shoa und der personellen Kontinuität, also dass nationalsozialistische Täter*innen in wichtige gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Positionen relativ unbehelligt zurückkehren konnten. Die in Umfragen aktuell hohen Werte für die AfD erklären sich für sie auch damit, dass „viele von Verschwörungsideologien erreicht werden, die das Vertrauen in Demokratie schwächen“.
Die Abgeordnete präsentierte eine Studie, in der Wähler aller Parteien mit den antisemitischen Stereotypen wie den vom „Juden als Strippenzieher“ oder vom Juden, der reicher sei als der Durchschnittsbürger, konfrontiert wurden. Immer war die Zustimmung unter AfD-Wählern – auch das wenig überraschend – prozentual am höchsten. Beispielswiese die Behauptung, „Juden nutzen ihren Status als Opfer der Shoa zum eigenen Vorteil“, bezeichneten 48 Prozent AfD-Wähler als richtig. Auffällig waren allerdings insgesamt die auch hohen Zustimmungswerte bei Wählern von Linken und FDP. „Das Ergebnis sollte allen Parteien zu denken geben“, resümierte Schönberger und nahm ihre Partei dabei gar nicht aus: Prozentual wiesen die Grünen zwar bei allen abgefragten antisemitischen Stereotypen die niedrigsten Zustimmungswerte auf, dennoch erschrecken die Zahlen. Beispielsweise bejahten 24 Prozent die unsägliche Statusbehauptung.
Nachdenklich machte die von Schönberger gezeigte lange Liste tödlicher antisemitischer Terrorakte, etwa 1970 auf ein jüdisches Altersheim, 1972 auf die israelische Olympiamannschaft in München, 1980 durch die Wehrsportgruppe Hoffmann oder der Anschlag in Halle 2019 . Ihre Feststellung: „Der Antisemitismus zieht auch nach 1945 eine blutige Spur durch Deutschland. „ Deshalb erkennt man jüdische Einrichtungen häufig schon von weitem an Sicherheitspersonal, Stahlbeton und Stacheldraht – daran dürfen wir uns niemals gewöhnen“, so Schönberger .
Die von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus – RIAS – ermittelten Zahlen zeigen: Von 2021 auf 2022 sind die Offline-Vorfälle, also die auf der Straße, von 300 auf 344 gestiegen. Dass RIAS für 2023 mit 1,1 Millionen Euro gefördert wurde, nannte Schönberger von Bedeutung, weil deren Monitoring und Datensammlung antisemitischer Vorfälle dabei helfen, das Problembewusstsein auch bei politischen Entscheidungsträger*innen zu steigern. Dennoch bilden diese Zahlen oft nur die Spitze des Eisbergs ab.
Die Meinungsfreiheit nannte Schönberger ein hohes Gut. Wer allerdings Verschwörungsideologien und Antisemitismus, vor allem im Internet, auf Bühnen und in Reden, aber auch in Kunstwerken oder Songs verbreitet, gefährdet Menschenleben, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und unsere Demokratie insgesamt. „Hier müssen klare Grenzen gezogen werden“, forderte Schönberger.
Am Ende gab es viel Beifall für die engagierte Abgeordnete, die eine vielfältige Gesellschaft will, die alle Menschen vor Diskriminierung und Gewalt schützt. Sie lebt das als Mitbegründerin des seit 2019 bestehenden Vereins Queer in Niederbayern e.V., die zugleich erste queere Anlaufstelle in Niederbayern, selbst vor.
Für den grünen Kreisverband Schweinfurt als Veranstalter hatte Stadträtin Barbara Mantel begrüßt. Die grüne Bürgermeisterin Ayfer Rethschulte bedauerte, dass Antisemitismus und Diskriminierung „nach wie vor salonfähig sind“. Die Präsenz der neonazistischen Dritte-Weg-Parteigänger*innen nannte sie unerträglich. Auch MdL Knoblach will die sie wieder los werden, sieht dabei die Stadt gefordert, noch einmal baurechtliche Möglichkeiten zu prüfen. Er kündigte weitere öffentliche Veranstaltungen an. „Wir bleiben dran am Thema, Nazis brauchen wir nicht in Schweinfurt“.